oder: Facebook im Dienste der Wissenschaft
Seit Herbst liest ein fremder Mann meine Facebook-Posts mit. Phishing? Datenklau?
Eher Datensammlung, denn er tut dies mit meiner Genehmigung. Freundschaftsanfragen von Fremden lehne ich eigentlich per se ab, in diesem Fall wurde sie aber von einer gemeinsamen Freundin angebahnt und angekündigt: Lars war auf der Suche nach Freiwilligen, die ihm ihre Chronik für eine linguistische Studie einsehbar machen würden. Sprachnerd bin ich sowieso und die Kriterien* erfüllte ich alle – da war meine Neugier geweckt und ich meldete mich als Beobachtungsobjekt. Untersucht werden sollte die Frage, welcher Sprache sich diejenigen Facebook-Nutzer wann bedienen, die neben Deutsch auch Englisch gut beherrschen. Sprich: Wovon ist die Wahl der Sprache eines Posts abhängig und werden eventuell auch Sprachen gemixt?
Lars studierte also meine Posts der Vergangenheit und las seit November 2014 live mit, was ich so von mir gab. Nun sind meine Facebook-Aktivitäten ja gar nicht so rege, aber offenbar ließ sich dennoch genug daraus entnehmen, wie ich feststellte, als ich kürzlich den fertigen Aufsatz zu lesen bekam. Durch seine Beobachtungen zu meiner Sprachwahl in Facebook-Posts in Verbindung mit einigen Fragen, die Lars mir zusätzlich noch zu meinem Facebook-Nutzungsverhalten und zur Zusammensetzung meines Freundeskreises gestellt hatte, wurde ich so zu einem von sieben anonymisierten Datensätzen. (Wer mich kennt, errät sicher schnell, hinter welchem Pseudonym ich mich verstecke.)
Übrigens offenbarten Lars‘ Fragen auch mir selbst interessante Erkenntnisse über meinen Freundeskreis: Nur knapp 10 % sind englische Muttersprachler und weitere 12 % sprechen muttersprachlich weder englisch noch deutsch (beherrschen aber Englisch als Zweitsprache). Diese Relationen waren bei mir allenfalls ein Bauchgefühl.
Was hat die Analyse meiner und der Facebook-Pinnwand anderer nun also gezeigt? Wer sich für die linguistischen Details interessiert, kann den gesamten Artikel hier nachlesen. Mir selbst sind zudem noch einige Dinge aufgefallen:
- Ich äußere mich deutlich häufiger in Songzitaten als mir bewusst war.
- Man kann sich mehr Gedanken zu Interpunktion und semantischer Genauigkeit innerhalb meiner Facebook-Posts machen als ihnen angemessen ist.
- Meine „Schwedophilie“ führte zu einem kuriosen Einzelfall innerhalb des Facebook-Sprachverhaltens der untersuchten Stichprobe. Davon abgesehen ticke ich aber im Sinne der Stichprobe völlig „normal“
- Der Anspruch an Facebook-Posts wird in Zukunft nicht nur sein, sie möglichst geistreich, sondern darüber hinaus linguistisch interessant und relevant zu gestalten…
*
- Deutsch ist Muttersprache
- Englisch ist nicht Muttersprache, wird aber als Zweitsprache gut beherrscht
- in Deutschland zur Schule gegangen
- lebt in Deutschland
- ist erwachsen
Kommentar verfassen