Zum dritten Mal nutzten die Dortmunder Philharmoniker heute eines ihrer Konzerte im Konzerthaus Dortmund für ein Tweetup. Für alle, die mit dem Begriff nichts anfangen können: Ein Tweetup ist zunächst einfach nur ein Treffen von Twitterern in der realen Welt. Im Kulturbereich sind Tweetups in den letzten Jahren zunehmend populär geworden, um mit Hilfe der Twitterer einem Ereignis (Ausstellung, Konzert etc.) zu größerer Aufmerksamkeit im Netz zu verhelfen, als die veranstaltenden Institutionen allein generieren könnten. Eingeladen werden also häufig Blogger und Twitterer, die eine nennenswerte Folgerschar haben.
Nun wurde ich gefragt, ob ich (als @kakakiri und für @Konzerthaus_DO) bei diesem Konzert mittwittern möchte. Die Einladung habe ich gerne angenommen, schon weil ich mir endlich selbst ein Bild eines solchen Tweetups machen wollte. Denn meine Einstellung zu Twittern im Konzert ist ambivalent: Einerseits sehe ich, dass sich auf diese Weise tatsächlich ein gewisser »Buzz« um Konzerte kreieren lässt. Das haben beispielsweise die Tweetups des Beethovenfest Bonn gezeigt. Andererseits zweifelte ich persönlich sehr daran, dass ich mich auf ein Konzert konzentrieren kann, wenn ich gleichzeitig twittern, Instagram-Bilder machen und vielleicht noch die Tweets meiner Mittwitterer lesen möchte. Die Gelegenheit zum Selbstversuch war also sehr willkommen.
Das Programm des Abends: eine Remix-Fassung von Mussorgskys »Bilder einer Ausstellung« – im Branchenjargon auch als »Schilder einer Baustelle« bekannt – mit dem DJ-Duo Superflu. Ursprünglich als Sammlung von Klavierstücken komponiert, haben die »Bilder einer Ausstellung« schon viele Komponisten und Arrangeure gereizt – allen voran Maurice Ravel, der die bekannte Orchesterfassung erstellte, aber auch die Rock-Gruppe Emerson, Lake & Palmer und etliche andere bediente sich bei Mussorgsky.
Nun also Superflu. Was die mit den Dortmunder Philharmonikern aus Mussorgskys Vorlage gemacht haben, wollten sich ca. 15 Twitterer anschauen und anhören und darüber unter dem Hashtag #groophy berichten.
Und was hat der Selbstversuch des Konzerttwitterns für mich ergeben? Zunächst muss ich ganz klar bekennen: Ich bin zwar eine Frau, aber zuhören, twittern, fotografieren und mitlesen kann ich nicht gleichzeitig. Zumal ich zwei Twitter-Accounts parallel bespielen wollte…
Meine Aufmerksamkeit für die Musik war also phasenweise sehr begrenzt. Aber ich möchte fast sagen: So schlimm war das auch nicht, denn remixen hieß oft kleine Motive zu loopen, die Philharmoniker einen Klangteppich drunter legen zu lassen und damit letztlich Mussorgsky zu trivialisieren.
Während es an einigen Stellen gut gelang, durch die Elektronika eine interessante Klangebene hinzuzufügen, geht der Sieg nach Punkten ganz klar an Mussorgsky: Wann immer das Orchester alleine unbearbeitete Passagen spielte, stellte sich bei mir der Gänsehauteffekt ein, den diese Komposition normalerweise auslösen kann, beispielsweise mit dem monumentalen Großen Tor von Kiew. Wenn ich Gefahr liefe, das zu verpassen, würde ich in einem klassischen Konzert auch in Zukunft lieber versuchen konzentriert zu lauschen als meine Aufmerksamkeit zwischen Konzertsaal und Handy zu teilen. Apropos Handydisplay: Das Twittern aus dem Konzertsaal ist natürlich auch deshalb schwierig, weil die erleuchteten Displays, insbesondere wenn gefilmt und fotografiert wird, andere Konzertbesucher stören. Auch hinter den #groophy-Twitterern auf der Chorempore des Konzerthaus Dortmund saßen Gäste, die sich irgendwann über die Ablenkung beklagten.
Nicht alle Besucher sind mit der Twitterei einverstanden… Das alte Problem: wie befriedigt man beide Interessengruppen? #groophy — Katharina Kierig (@kakakiri) 17. November 2014
Mal sehen ob der Typ gleich hinter mir wieder anfängt zu moppern! #twitter und Handy und so #groophy 😉
— Kati Rose (@KatiRosiRose) 17. November 2014
Was hier so als moppern abgetan wird, darf man aus Veranstalterperspektive nicht einfach ignorieren. Eher stellt sich die Frage, wie man den möglichen Gewinn (durch Aufmerksamkeit, Reichweite etc.) gegen Einschränkungen des Publikums, das das Konzert »herkömmlich« verfolgen will, abwägen kann? Und gewinnt man durch Remix-Fassungen und Live-Twitter klassischer Werke tatsächlich ein neues Publikum? Denn das Publikum am heutigen Abend war zwar deutlich jünger als in traditionellen Sinfoniekonzerten, aber senken solche Formate tatsächlich die Schwelle, auch andere Konzerte in Zukunft zu besuchen? Oder lassen sich diese Publikumsschichten nur mit Crossover und harmlosen Orchesterloops erreichen?
Viele Fragen und wenig Antworten!
Nachtrag: Einen Überblick über alle #groophy Tweets, Fotos und Videos bietet dieses Storify.