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Kategorie: Musik

Eine Laien-Violine in Profi-Händen

Wie es kam, dass Patricia Kopatchinskaja einmal auf meiner Geige spielte

Meine Geige führt seit geraumer Zeit ein Schattendasein: eingesperrt in ihrem Kasten, abgestellt in der Ecke hinter dem Notenständer, der als Ablage für Chornoten dient. Und hätten nicht Komponisten immer wieder einmal Werke geschrieben, in denen eine umgestimmte Geige (zusätzlich zur regulär in Quinten gestimmten) benötigt wird, hätte sich daran wohl aktuell auch nichts geändert.

Doch auf dem Spielplan im Konzerthaus Dortmund standen Kurtágs „Kafka-Fragmente“, eine Vertonung kurzer Notizen, Aphorismen und Miniaturen von Franz Kafka für Sopran und Violine. Und drei dieser kleinen Stücke erfordern entweder eine umgestimmte Geige oder dass der Interpret beim Spielen an den Wirbeln dreht und sie hörbar verstimmt. Damit das Profi-Instrument unmittelbar danach wieder reine Töne produzieren kann, ist es üblich, ein zweites Instrument zur Hand zu haben, um ohne eine Stimmpause weiterspielen zu können.

In prominenter Gesellschaft

Patricia Kopatchinskaja, die Solistin der „Kafka-Fragmente“, hätte natürlich selbst eine zweite Geige mitbringen können. Doch da sie direkt aus den USA anreiste, war das nicht möglich und ihre Agentur bat das Konzerthaus, ein weiteres Instrument zu organisieren. Nun könnte man meinen, dass Musiker dieses Kalibers nicht auf irgendeinem Instrument spielen. Doch das ist keineswegs ungewöhnlich und das Management betonte, es müsse keine besonders wertvolle Geige sein – wohl auch, weil die verzerrten Klänge ja Teil der Komposition sind und die veränderte Saitenspannung ohnehin keinen authentischen Eindruck der Qualitäten eines Instruments erlaubt.

Da mein Laien-Instrument zuvor schon verschiedenen anderen Weltklasse-Geigern (Carolin Widmann, Janine Jansen und Pekka Kuusisto) getaugt hatte, um Bartóks „Kontraste“ darauf zu spielen, kam der Kollege also auch in diesem Fall auf mich und meine vernachlässigte Geige zu, die so wieder einmal einen Moment im Rampenlicht der Konzerthaus-Bühne stehen durfte.

Laien- vs. Profi-Instrument

Wie klang sie also nun – meine Amateur-Geige, verglichen mit Patricia Kopatchinskajas Pressenda von 1834? (Der Geigenbau-Zettel in besagter Amateur-Geige weist sie zwar als Instrument aus Cremona aus dem Jahr Siebzehnhundertungerade aus, doch diesen Zettel hat nach Expertenmeinung wohl eher ein bescheidener, wenn auch geschäftstüchtiger Geigenbauer aus Sachsen im späten 19. Jahrhundert dorthin geklebt.)

Da nun wie gesagt die Saitenspannung bei der Beurteilung des Klangs natürlich eine wichtige Rolle spielt, scheint es nicht verwunderlich, dass meine Geige etwas wärmer, hauchiger und weniger durchdringend klang, da ihre Saiten tiefer gestimmt waren. Doch wie schon die drei oben genannten Vorgänger bestätigte auch Patricia Kopatchinskaja nach dem Konzert, dass dies ein gutes Instrument sei, das sich wohltuend von den Zigarrenkästen abhebt, die sie sonst in diesem Werk manchmal spielt.

Und während ich bislang nie auf die Idee gekommen war, die prominenten Geiger ihre Nutzung meines Instruments „quittieren“ zu lassen, bat ich Patricia Kopatchinskaja um ein entsprechendes Autogramm. Ob es den Wert meiner Geige steigert, sei dahingestellt – die ohnehin bewegte (Familien-)geschichte dieser Violine ist nun jedenfalls um ein Kapitel reicher.

Patricia Kopatchinskaja Konzerthaus Dortmund Violine

Laola in der Elbphilharmonie

Eigentlich hatte ich mich damit abgefunden, die Elbphilharmonie nicht vor nächster Saison von innen zu sehen. Schließlich sind die Tickets für alle Konzerte bis zum Sommer seit langem restlos ausverkauft.

Doch manchmal hat man auch einfach Glück – oder eine liebe Freundin mit guten Kontakten. Und so kam ich nun drei Wochen nach der offiziellen Eröffnung an ein Ticket für ein Konzert für Hamburg des NDR Elbphilharmonie Orchesters im Großen Saal der „Elphi“.

Die Vorfreude war natürlich riesig. Ich fragte mich aber auch, ob der Hype wohl gerechtfertigt ist, oder ob nach all der medialen Aufmerksamkeit das tatsächliche Erlebnis eher unspektakulär ausfällt – schließlich habe ich schon einige Konzertsäle von innen gesehen. Gut, eine gebogene Rolltreppe („Tube“), eine Besucherplattform auf 37 m Höhe („Plaza“) und solche fancy Namen dafür haben natürlich die wenigsten…

Aber nun zur brennenden Frage:

@kakakiri Und? Wie klingt’s nun? Blogpost, bitte!

— Katrin Scheib (@kscheib) 4. Februar 2017

Der erste Eindruck

Viel hatte man gehört von der „Weißen Haut“, der Gipsverkleidung der Wände, die mit unregelmäßigen Rillen überzogen ist und dafür sorgen soll, dass der Schall gleichmäßig gestreut wird. So war ich überrascht von dem gedämpften Licht beim Einlass, das die gräuliche Wand ganz und gar nicht weiß wirken lässt.

Unsere Plätze im Block I in der 13. Etage, direkt über der Bühne hinter den 1. Geigen und Harfen, boten einen tollen Ausblick aufs Geschehen im Orchester und ließen selbst mich Insider über ein paar Dinge staunen bzw. schmunzeln. (Es gibt Halterungen für Horndämpfer, die man an den Stuhlbeinen befestigt.)


Zur Beurteilung der Akustik waren die Plätze sicherlich nicht ganz ideal. Im Cellokonzert von Haydn hörte man den Solisten Nicolas Altstaedt immer ein wenig gedämpft – immerhin war sein eigener Körper und die gesamte Geigengruppe zwischen seinem Instrument und uns. Auch das Orchester klang von diesem Platz ein wenig geigenlastig. Doch es wurde schon in diesem Werk deutlich, was anschließend Bartóks Konzert für Orchester bestätigte: Der Saal verkraftet dynamische Extreme. Einziger Wermuthstropfen in den Pianissimo-Stellen: das Rauschen der Scheinwerfer, die bereits für die zweite Veranstaltung des Abends eingehängt waren und deren Lüftungen offenbar auch im Standby liefen.

Die Konzerthaus-Mitarbeiterin in mir bemerkte außerdem, dass die Foyerkräfte sehr hübsche Uniformen trugen (frackähnliche Kombinationen mit einem maritimen Ringelshirt) und es offenbar auch andernorts schwierig ist, das Foto- und Videoverbot im Konzert strikt zu forcieren (ich wurde mehrfach von filmenden Handys mit „Taschenlampe“ geblendet; ein Herr im Parkett fotografierte mit Spiegelreflex-Kamera und Blitz, und ringsherum wurde natürlich eifrig Smartphone-geknipst).

Der zweite Eindruck

Nach dem gut einstündigen Konzert wäre ich zufrieden rausgegangen und hätte mich über meine unverhoffte Elphi-Premiere gefreut, doch es kam noch besser: Die liebe Freundin mit den Connections hatte auch noch zwei Tickets für die anschließende NDR Late Night ergattert, sodass wir nach einem Bierchen in der Elbphilharmonie-Bar Störtebeker noch einmal aus anderer Perspektive schauen und hören konnten.

Jetzt saßen wir in der 15. Etage im Block O direkt hinter dem Orchester. Dort war nicht nur die Aussicht eine andere, sondern auch der akustische Eindruck. Die von den Kritikern beschriebene Transparenz wurde dort – direkt hinter den Bläsern – insbesondere in Beethovens 5. Sinfonie offenkundig: Noch nie hatte ich einzelne „Bom-Bom-Boms“ der Fagotte oder gewisse Oboen-Passagen so deutlich herausgehört. Die unbarmherzige Konsequenz dieser klaren Akustik ist natürlich, dass auch Intonationsprobleme oder andere Wackler überdeutlich zu Tage treten.

Auf Beethoven folgten noch Lieder von Gershwin, in denen sich wiederum eine Herausforderung dieser Saalarchitektur zeigte: Die Lautsprecher für die mikrofonierte Sängerin J’Nai Bridges waren nur nach vorne gerichtet – für uns Zuhörer hinter dem Orchester klang daher alles etwas dumpf und weit entfernt.

Moderiert wurde dieses Konzert von Moderatoren der N-Joy Morningshow, die die Besucher nicht nur nach ihren Konzertbesuchsgewohnheiten fragten (erstaunlich und erfreulich viele „Ersttäter“!), sondern sie nach einer lockeren Plauderei mit einer Hornistin auch animierten, das Orchester mit einer Laola zu belohnen – hier zeigte sich allerdings entweder die berühmte hanseatische Zurückhaltung oder dringender Nachhilfebedarf bei Fußballfans!

Der dritte Eindruck

Mittlerweile war es kurz vor 23.00 Uhr und man hätte spätestens jetzt äußerst zufrieden nach Hause gehen können, doch das Late-Night-Format ging noch weiter: Nach einer Umbaupause sollten auf den klassischen Teil mit Orchester Tim Bendzko mit Band folgen! An Nachhausegehen war also noch nicht zu denken – stattdessen ergab sich ein erneuter Platzwechsel. Diesmal in die 16. Etage und den Block V, fast ganz oben unter dem Dach schräg links vor der Bühne.

Nach unserem Eindruck während der verstärkten Gershwin-Lieder war das sicher ein guter Tausch, da für die Band von Tim Bendzko zwar noch einige dicke Soundcluster auf der Bühne aufgestellt worden waren, die aber alle ebenfalls nach vorne gerichtet waren.

Spannend war in diesem Teil die Modifikation der Saalakustik durch glatte Wände, die in regelmäßigen Abständen aus dem Boden vor der Weißen Haut hochgezogen worden waren und die mit ihrer glatten Oberfläche bewirken sollen, dass die akustisch verstärkte Musik nicht breit gestreut und reflektiert wird.

Fazit

Dieses Haus gleich aus drei Perspektiven mit Repertoire von Frühklassik über Jazziges bis hin zum Pop kennenlernen zu können, war natürlich ein einmaliger Glücksfall! Und obwohl die Akustik sicher nicht für alles oder alle perfekt geeignet ist, macht es großen Spaß, das Ohr so genau am Geschehen zu haben – von der Atmosphäre, die auch bei 2100 Menschen im Saal noch „gemütlich“ wirkt, ganz zu schweigen. Ich drücke also allen die Daumen, die ungeduldig auf die nächste Vorverkaufsrunde warten, die am 15. Februar startet!

Groophy Tweetup

Zum dritten Mal nutzten die Dortmunder Philharmoniker heute eines ihrer Konzerte im Konzerthaus Dortmund für ein Tweetup. Für alle, die mit dem Begriff nichts anfangen können: Ein Tweetup ist zunächst einfach nur ein Treffen von Twitterern in der realen Welt.  Im Kulturbereich sind Tweetups in den letzten Jahren zunehmend populär geworden, um mit Hilfe der Twitterer einem Ereignis (Ausstellung, Konzert etc.) zu größerer Aufmerksamkeit im Netz zu verhelfen, als die veranstaltenden Institutionen allein generieren könnten. Eingeladen werden also häufig Blogger und Twitterer, die eine nennenswerte Folgerschar haben.

Nun wurde ich gefragt, ob ich (als @kakakiri und für @Konzerthaus_DO) bei diesem Konzert mittwittern möchte. Die Einladung habe ich gerne angenommen, schon weil ich mir endlich selbst ein Bild eines solchen Tweetups machen wollte. Denn meine Einstellung zu Twittern im Konzert ist ambivalent: Einerseits sehe ich, dass sich auf diese Weise tatsächlich ein gewisser »Buzz« um Konzerte kreieren lässt. Das haben beispielsweise die Tweetups des Beethovenfest Bonn gezeigt. Andererseits zweifelte ich persönlich sehr daran, dass ich mich auf ein Konzert konzentrieren kann, wenn ich gleichzeitig twittern, Instagram-Bilder machen und vielleicht noch die Tweets meiner Mittwitterer lesen möchte. Die Gelegenheit zum Selbstversuch war also sehr willkommen.

Das Programm des Abends: eine Remix-Fassung von Mussorgskys »Bilder einer Ausstellung« – im Branchenjargon auch als »Schilder einer Baustelle« bekannt – mit dem DJ-Duo Superflu. Ursprünglich als Sammlung von Klavierstücken komponiert, haben die »Bilder einer Ausstellung« schon viele Komponisten und Arrangeure gereizt – allen voran Maurice Ravel, der die bekannte Orchesterfassung erstellte, aber auch die Rock-Gruppe Emerson, Lake & Palmer und etliche andere bediente sich bei Mussorgsky.

Nun also Superflu. Was die mit den Dortmunder Philharmonikern aus Mussorgskys Vorlage gemacht haben, wollten sich ca. 15 Twitterer anschauen und anhören und darüber unter dem Hashtag  #groophy berichten.

Und was hat der Selbstversuch des Konzerttwitterns für mich ergeben? Zunächst muss ich ganz klar bekennen: Ich bin zwar eine Frau, aber zuhören, twittern, fotografieren und mitlesen kann ich nicht gleichzeitig.  Zumal ich zwei Twitter-Accounts parallel bespielen wollte…

Meine Aufmerksamkeit für die Musik war also phasenweise sehr begrenzt. Aber ich möchte fast sagen: So schlimm war das auch nicht, denn remixen hieß oft kleine Motive zu loopen, die Philharmoniker einen Klangteppich drunter legen zu lassen und damit letztlich Mussorgsky zu trivialisieren.

Mussorgsky remixed. #groophy #konzerthausdortmund #Mussorgsky #SchildereinerBaustelle #superflu

Ein von Katharina Kierig (@kakakiri) gepostetes Video am

 

Während es an einigen Stellen gut gelang, durch die Elektronika eine interessante Klangebene hinzuzufügen, geht der Sieg nach Punkten ganz klar an Mussorgsky: Wann immer das Orchester alleine unbearbeitete Passagen spielte, stellte sich bei mir der Gänsehauteffekt ein, den diese Komposition normalerweise auslösen kann, beispielsweise mit dem monumentalen Großen Tor von Kiew. Wenn ich Gefahr liefe, das zu verpassen, würde ich in einem klassischen Konzert auch in Zukunft lieber versuchen konzentriert zu lauschen als meine Aufmerksamkeit zwischen Konzertsaal und Handy zu teilen. Apropos Handydisplay: Das Twittern aus dem Konzertsaal ist natürlich auch deshalb schwierig, weil die erleuchteten Displays, insbesondere wenn gefilmt und fotografiert wird, andere Konzertbesucher stören. Auch hinter den #groophy-Twitterern auf der Chorempore des Konzerthaus Dortmund saßen Gäste, die sich irgendwann über die Ablenkung beklagten.

Was hier so als moppern abgetan wird, darf man aus Veranstalterperspektive nicht einfach ignorieren. Eher stellt sich die Frage, wie man den möglichen Gewinn (durch Aufmerksamkeit, Reichweite etc.) gegen Einschränkungen des Publikums, das das Konzert »herkömmlich« verfolgen will,  abwägen kann?  Und gewinnt man durch Remix-Fassungen und Live-Twitter klassischer Werke tatsächlich ein neues Publikum? Denn das Publikum am heutigen Abend war zwar deutlich jünger als in traditionellen Sinfoniekonzerten, aber senken solche Formate tatsächlich die Schwelle, auch andere Konzerte in Zukunft zu besuchen? Oder lassen sich diese Publikumsschichten nur mit Crossover und harmlosen Orchesterloops erreichen?
Viele Fragen und wenig Antworten!

Nachtrag: Einen Überblick über alle #groophy Tweets, Fotos und Videos bietet dieses Storify.

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